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Für das Klima braucht es mehr als 2 Prozent

von Patrick Kaczmarczyk, Autor und Ökonom

Jedes Jahr aufs Neue spüren wir die rapiden Veränderungen des Klimas. Die Vereinten Nationen riefen die 20er Jahre deshalb zum „Jahrzehnt des Handelns“ („Decade of Action“) aus – und tatsächlich, wenn wir in diesem Jahrzehnt nicht die Kurve kriegen, dann wird es für die Welt extrem ungemütlich. 

Von den kumulierten 1.653 Milliarden Tonnen an CO2-Emissionen, die bisher schätzungsweise ausgestoßen wurden, entfallen circa 32 Prozent auf Europa, 28 Prozent auf Nordamerika und 31 Prozent auf Asien (bei einer deutlich höheren Bevölkerungsanzahl). Afrika und Südamerika kommen zusammen auf gerade einmal 5 Prozent. Die historische Verantwortung der Industriestaaten im Kampf gegen den Klimawandel steht somit außer Frage, denn es war die Minderheit des globalen Nordens, die für das Groß der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich ist (in den letzten Jahren wuchs auch die Verantwortung Chinas).  

Das große Aber 

Mit dem Blick auf die Zukunft darf die historische Perspektive jedoch nicht verschleiern, dass noch weitaus mehr nötig sein wird als Deutschland und Europa klimaneutral zu machen. Das heißt natürlich nicht (man kann es nicht stark genug betonen), dass wir die Hände in den Schoß legen dürfen oder uns unserer historischen Verantwortung nicht zu stellen brauchen. Ohne klimaneutrale Industrienationen wird der Klimakollaps nicht aufzuhalten sein. Allerdings gehört auch zur Kehrseite der Medaille, dass eine notwendige Bedingung eben noch keine hinreichende ist. Wenn wir den globalen Süden nicht mitnehmen, wird der Kampf gegen den Klimawandel ebenfalls scheitern. Das muss in die Köpfe der Mensche

Leider werden diese internationale Dimension und Tragweite der Krise noch nicht einmal im Ansatz ausreichend diskutiert. Zwar häufen sich die guten Absichtsbekundungen und der gelegentliche Verweis darauf, was für ein Potenzial beim Export von erneuerbaren Energieträgern für den globalen Süden liegt, doch weder werden die Entwicklungsprobleme in dem Zusammenhang richtig eingeordnet, noch ändert sich etwas in der Praxis der Entwicklungspolitik. Auch in der Debatte in Deutschland dreht sich alles darum, was Deutschland tun kann, wenn Deutschland dieses und jenes macht, oder Deutschland dieses und jenes lassen sollte. Deutschland, Deutschland, Deutschland – das, wie auch ein Ernst Ulrich von Weizsäcker nicht müde wird zu betonen, 2 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen ausmacht. Die übrigen 98 Prozent müssen ebenfalls sinken. Welche Hebel wir über die Politik auf EU- oder globaler Ebene allerdings drücken sollten, darüber herrscht betretenes Schweigen. 

Grundlegende Ökonomik

Wie wir den Kampf gegen den Klimawandel international organisieren, wird über dessen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Zum einen liegt dies an grundlegenden ökonomischen Mechanismen. Nehmen wir an, dass der globale Norden es schafft, innerhalb weniger Jahre gänzlich klimaneutral zu werden. Was würde passieren, wenn diese Transformation im Rest der Welt ausbleibt, weil die armen Länder beispielsweise aufgrund strikter Patentregeln nicht auf klimaneutrale Technologien zurückgreifen können? Nun, die Nachfrage nach fossilen Energieträgern wird sinken, was dazu führen wird, dass auch deren Preis fällt. Und wenn der Preis fällt, dann werden die Länder des globalen Südens – die bisher kaum vom fossilen Wachstum profitiert haben (dafür aber mit voller Wucht die Auswirkungen des Klimawandels spüren) – auf eben jene, relativ günstigere fossile Energieträger zurückgreifen können und dies auch tun. Niemand aus dem globalen Norden hätte die Autorität und Glaubwürdigkeit den globalen Süden dafür zu kritisieren, ihre materiellen Lebensstandards auf Basis fossiler Energie verbessern zu wollen, nachdem man selbst die Grundlage des Kapitalstocks auf fossilem Wachstum aufgebaut hat. 

Genau aus diesem Grund braucht es einen anderen Ansatz, der es zum einen belohnt, fossile Energieträger im Boden zu lassen, zum anderen jedoch ermöglicht, dass die Länder, deren Lebensstandards ein menschenwürdiges Leben nicht möglich machen, sich ihren eigenen Kapitalstock aufbauen und eine eigenständige Entwicklung auf die Beine stellen können. 

Idealerweise bräuchte es dafür einen weltweit kontinuierlich steigenden Preis für die Emission von CO2, und wenn dies absolut unrealistisch erscheint, weil Länder wie die USA oder Japan da nicht mitziehen werden, bräuchte es andere Mechanismen, die den Preis für Erneuerbare Energien weltweit zumindest deutlich günstiger machen als den Preis für fossile Energieträger (beispielsweise über großzügige Subventionen, Klimaschutzverträge, oder internationale Grenzausgleichmechanismen).

Zugleich brauchen insbesondere die Länder des globalen Südens stabilere Kapitalmarktbedingungen und mehr industriepolitischen Spielraum, um eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu setzen und die bestehenden Auswirkungen des Klimawandels abzufangen. Im derzeitigen System läuft es gerade in die andere Richtung. Das beste Beispiel ist das Drama, das sich derzeit in Pakistan abspielt. Nachdem im Sommer 2022 eine Flutkatastrophe das Land verwüstete und Schäden von 30 Milliarden US-Dollar verursachte, folgte die Wirtschaftskrise. Es folgte der übliche Hilferuf nach Washington und der Internationale Währungsfonds (IWF) zwang die Regierung Pakistans (wie üblich) dazu, den Wechselkurs zu liberalisieren – wodurch der Rupee in den Keller rauschte – und Steuererhöhungen und Sparprogramme aufzusetzen. Die Folge: Das Griechenlandprogramm verschärfte die Krise, der Devisenbestand schmolz dahin, Importe von Treibstoff und Nahrungsmittel werden unerschwinglich, die Inflation schießt auf 40 Prozent. Es ist nur eine Erfahrung von vielen, die die Länder des globalen Südens gemacht haben. Dass in den Ländern in akuter materieller Notlage andere Themen als der Klimaschutz wichtiger sein dürften, liegt auf der Hand. 

Neuer Ansatz in der Entwicklungspolitik

Um den Klimawandel global zu bewältigen, braucht es einen ganz neuen Ansatz der Entwicklungspolitik und internationalen Zusammenarbeit, die es allen Ländern ermöglichen, einen eigenen Kapitalstock aufzubauen und auf nachhaltige Weise ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Dazu greifen Forderungen nach einem neuen „Sondervermögen Entwicklungshilfe“ oder einer anderweitigen Aufstockung der Hilfsgelder viel zu kurz, denn es ist vor allem ein dysfunktionales Finanz- und Währungssystem, das die Entwicklung vieler Länder des globalen Südens von vornherein verhindert. Mehr Geld würde maximal kurzfristig für etwas Stabilität sorgen, langfristig wäre es jedoch wirkungslos.

Bei den gegebenen Zinsniveaus beispielsweise würde „mehr Geld“ in weiten Teilen dazu führen, dass es wieder zurück in den Norden fließt, wo die privaten und öffentlichen Gläubiger sich mit Krediten an den globalen Süden die Taschen vollmachen. Im Jahr 2021, so schrieb kürzlich die Generalsekretärin der UNCTAD, Rebeca Grynspan, mussten Entwicklungsländer insgesamt 400 Milliarden US-Dollar zur Bedienung der Schulden aufbringen – was mehr als dem Doppelten der Summe entspricht, die sie an Entwicklungshilfe erhalten haben. 

Investitionen würden mit höheren Hilfszahlungen ebenso wenig anspringen, denn wenn die Bedingungen auf den Kapitalmärkten – insbesondere durch Spekulationen mit Währungen und Rohstoffen – einer Achterbahnfahrt gleichen und die Zinsen tendenziell hoch bleiben, wird kein realwirtschaftlich orientierter Investor auch nur ein Mindestmaß an Planungssicherheit vorfinden (ganz abgesehen von oftmals nicht wettbewerbsfähigen Wechselkurs- und Inflationsdynamiken, mit denen viele Länder des globalen Südens zu kämpfen haben).

Es bräuchte somit einen Neustart, der sämtliche Dimensionen der globalen Wirtschaftsordnung umfasst. Dies beinhaltet ein Währungssystem, in dem sich Inflationsdifferenzen durch koordinierte Auf- und Abwertungen ausgleichen, sodass die Wettbewerbsfähigkeit real konstant bleibt, Interventionen auf den globalen Finanzmärkten, die den spekulativen Handel mit Rohstoffstoffen bremsen, eine Entwicklungspolitik, die den Ländern des globalen Südens mehr industriepolitischen Spielraum gewährt, und ein funktionierendes, multilaterales Handelssystem anstelle hunderter bilateraler Verträge, die im klassischen Sinne wenig mit „Freihandel“ zu tun haben. Zudem müssen endlich auch die Patentrechte gelockert werden, denn oftmals sind es prohibitiv hohe Kosten, die es dem globalen Süden unmöglich machen, auf Medikamente oder neue Technologien zurückzugreifen. Gerade im Hinblick auf den Klimawandel wird das essenziell, wenn wir eine fossile Entwicklung im Süden „überspringen“ wollen. 

Das klingt alles sehr ambitioniert und zum Teil unrealistisch, doch letzten Endes bleibt es eine Frage des politischen Willens. Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich die großen Mächte zusammengerauft, um eine Wirtschaftsordnung zu gestalten, die dem Ziel „Nie wieder Krieg“ dienen sollte. Im „Jahrzehnt des Handelns“ stehen wir vielleicht vor deutlich größeren Herausforderungen als die Weltmächte 1944 in Bretton Woods – auch und vor allem deshalb, weil wir ein neues System mit einer deutlich höheren Anzahl von Nationalstaaten ausarbeiten müssten. Zweifellos sitzen wir dabei alle im selben Boot – sofern uns das Klima am Herzen liegt –, denn ob eine Tonne CO2 in Deutschland oder sonst wo auf der Welt ausgestoßen wird, ist dem Klima herzlich egal. 

Neben dem Vorantreiben der nationalen Maßnahmen zur Klimaneutralität muss Deutschland somit komplementär auch internationale Reformen anstoßen – und über die EU besteht bereits ein nicht zu unterschätzender Hebel. Eine Alternative dazu haben wir nicht. Wie es der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, bei der COP 27 auf den Punkt brachte: „die Menschheit hat die Wahl: Kooperation oder Untergang“ („cooperate or perish“). Allein mit guter Politik im globalen Norden – so unabdingbar sie im Kampf gegen den Klimawandel ist – werden wir die drohende Klimakatastrophe nicht abwenden. 

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