Die Kindergrundsicherung muss kommen – aber vollumfänglich, nicht in einer Light-Version!
von Lea Herzig, stellvertr. Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR)
Kinderarmut in Deutschland – alle sprechen darüber und anscheinend wird die Bundesregierung nun tatsächlich tätig, zumindest wenn’s der Haushalt hergibt. Die Kindergrundsicherung ist eines der Prestigeprojekte von Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Sie stellte es als eines der zentralen Wahlkampfthemen in 2021 dar. Die Kindergrundsicherung soll das leisten, was viele Programme vor ihr nicht geschafft haben, nämlich die unglaubliche Ungleichverteilung von finanziellen Startchancen bei Kindern und Jugendlichen auflösen. Laut Statistiken [1] lebt fast jedes fünfte Kind in Deutschland in materieller Armut – ein unhaltbarer Zustand.
Aus diesem Grund fordert der Deutsche Bundesjugendring [2], die Vertretung von etwa sechs Millionen jungen Menschen, organisiert in Jugendverbänden und Jugendringen, bereits seit Jahren die Einführung einer Kindergrundsicherung. In unserer Vorstellung stellt eine Kindergrundsicherung nur einen Baustein dar, um die soziokulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu sichern. Sie muss allerdings mit einem wirklichen Ausbau der Infrastruktur für Kinder und Jugendliche umrahmt werden. Sei es in Form der Stärkung der frühkindlichen Bildung, der formalen Bildung in Schulen oder auch in der non-formalen außerschulischen Bildung. Dazu braucht es Freiräume [3], die Kinder und Jugendliche selbst gestalten können und Jugendbildungsstätten [4], in denen alle Formen von Bildung erfolgen können. Es ist dabei egal wo man hinschaut, es besteht ein immenser Investitionsbedarf.
Als Bundesjugendring haben wir sehr konkrete Forderungen an die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung:
Alle kindesbezogenen Sozialleistungen sollen in der Kindergrundsicherung gebündelt werden. Dies würde den Zugang enorm erleichtern. Die zustehende Leistung könnte dann praktisch automatisch ausgezahlt werden. Die Höhe der Kindergrundsicherung muss sich außerdem am wirklichen soziokulturellen Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen orientieren. Der Name „Kindergrundsicherung“ sollte dabei nicht irreführend sein, die Auszahlung dieser so wichtigen neuen Sozialleistung muss die Übergänge zwischen Schule, Ausbildung und Studium berücksichtigen [5]. Es darf also keine strikte Altersgrenze ab dem Erreichen der Volljährigkeit angesetzt werden, analog wie die aktuelle Gestaltung des Kindergeldes muss aus Sicht des Bundesjugendrings ebenso die Kindergrundsicherung bis mindestens zur Vollendung des 25. Lebensjahrs ausgezahlt werden. Dabei sind die unterschiedlichen Bedarfe der verschiedenen Altersgruppen zu berücksichtigen, hier sollte in der Höhe nach altersgerechten Bedarfen differenziert werden. Modelle zur Ausbildungsförderung und -vergütung müssen hier zum Vorteil junger Menschen berücksichtigt beziehungsweise angepasst werden. Ähnlich zur Ausdifferenzierung nach Altersgruppen müssen auch Mehrbedarfe, die sich aus besonderen Lebenslagen ergeben, zusätzlich zur Kindergrundsicherung berücksichtigt werden. Hierzu gehören bspw. überdurchschnittliche Wohnkosten, besondere Verpflegungskosten durch medizinische Unterstützung oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen (Assistenzen, Dolmetscher*innen, etc.). Hier muss die Beantragung und Auszahlung so unbürokratisch und unkompliziert gehalten sein, wie die Kindergrundsicherung selbst.
Fraglich ist vielleicht, wie die Finanzierung für einen solchen Umbau unseres bisherigen Modells der finanziellen Förderung von Kindern und Familien aussehen kann. Aus Sicht des Bundesjugendrings gilt es, das bisher ungerechte System des Familienleistungsausgleichs aus Transferleistungen (Kindergeld) beziehungsweise Steuerentlastungen (Kinderfreibetrag) gänzlich umzubauen. Die Bevorzugung von Besserverdienenden muss abgeschafft werden. Diese freiwerdenden Mittel können zur Finanzierung der Kindergrundsicherung eingesetzt werden. Gleichzeitig gilt es nach Einführung der Kindergrundsicherung, die unteren Einkommen wirklich zu stärken, insbesondere die Einkommen der ärmsten 20% der Gesellschaft. Hieraus resultiert die Forderung, die Maximalsumme der Kindergrundsicherung anhand des steigenden Einkommens der Personensorgeberechtigten abzuschmelzen, bis hin zu einem Sockelbetrag, der allen zustehen muss. Und die aktuellen Preisentwicklungen zeigen, dass ein Mechanismus aufgenommen werden muss, nach dem die Beträge automatisch auf Basis der Inflationsrate angepasst werden.
Nach Plänen der Bundesregierung soll die Kindergrundsicherung ab 2025 starten. Zur Erarbeitung des geplanten Gesetzesvorhabens wurde eine interministeriale Arbeitsgruppe unter Federführung des Kinder- und Jugendministeriums eingesetzt. Diese soll bis zum Herbst 2023 einen ersten Gesetzesentwurf erarbeiten. Zusätzlich hat das Ministerium im Frühjahr 2023 erste Eckpunkte veröffentlicht. In diesen lässt sich die Aufnahme einiger grundlegender Forderungen des Bundesjugendrings erkennen. Mittels eines digitalen Abgleichs sollen Sozial- und Finanzbehörden die Ansprüche von Familien bei der Kindergrundsicherung proaktiv ermitteln. Damit erinnern die Behörden Familien überhaupt daran, dass sie Leistungen aus der Kindergrundsicherung beanspruchen können. Hier muss darauf geachtet werden, dass die Beantragung möglichst einfach und barrierearm erfolgen kann. Bisher scheint zudem ein Sockelbetrag in Höhe des aktuellen Kindergeldes geplant zu sein, der je nach Einkommen der Personensorgeberechtigten angehoben werden kann. Hier fehlt die Ausdifferenzierung nach Altersgruppen, die die besonderen Bedarfe mit steigendem Lebensalter berücksichtigt. Außerdem ist noch nichts über eine Altersgrenze oder die Zeit des Übergangs zwischen Schule, Ausbildung und Studium bekannt. Hier setzt der Bundesjugendring hohe Erwartungen an die interministeriale Arbeitsgruppe und die kommenden Beteiligungsformate im Gesetzgebungsprozess. Dennoch besteht die Gefahr, trotz Beteuerungen von Bundesministerin Lisa Paus, dass die Kindergrundsicherung an Sparvorhaben oder anderen Großprojekten der Bundesregierung scheitert oder auf eine Kindergrundsicherung light reduziert wird. Die aktuelle Blockadehaltung von Bundesfinanzminister Christian Lindner bei der Aufstellung des Haushaltes und der Einplanung von Mehrbedarfen für die Kindergrundsicherung ist eine Bankrotterklärung an das Versprechen der Koalition insbesondere dem Zustand, dass Kinder und Jugendliche in Armut aufwachsen, den Kampf anzusagen. Die Kindergrundsicherung ist zu wichtig, als dass sie vor den ideologischen Schranken der Schuldenbremse zurückbleiben könnte. Zu lange wurde zu wenig in junge Menschen investiert, nun muss ein Paradigmenwechsel her.
Daher sagen wir als Bundesjugendring sehr entschieden, die Kindergrundsicherung muss vollumfänglich kommen! Und die Kindergrundsicherung muss endlich alle Bedarfe auf Bildung und Teilhabe in Höhe des sozioökonomischen Existenzminimums von Kindern abdecken. Eine Kindergrundsicherung light können wir uns für die Zukunft nicht leisten!