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Wirtschaftssanktionen – wie kann man den Effekt messen? Ein Ansatz mit dem Gravitationsmodell

von Jonas Kaiser

Im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine hat die EU wiederholt Sanktionspakete verabschiedet. Ebenso sind Sanktionen gegen den Iran in Bezug auf das Atomprogramm und innenpolitische Unruhen immer wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte.

In diesem Blogbeitrag blicke ich darauf, wie man den Effekt von Sanktionen mithilfe eines Gravitationsmodells messen kann. Der Beitrag basiert auf dem Paper „The Effect of Sanctions Against Russia Following the Ukrainian Crisis”, welches ich gemeinsam mit A. Agarwal, M. Delabarre, Z. Iles und V. Saletti im November 2020 verfasst habe.

Arten von Sanktionen und deren Zweck

Wirtschaftssanktionen sind ein beliebtes Instrument in der Außen- und Sicherheitspolitik auf dem internationalen Parkett. Wenn rein diplomatische Ansätze fehlschlagen und militärische Interventionen noch nicht in Betracht kommen, bieten sie einen attraktive politische Handlungsoption [1]. Die EU und die USA greifen auf solche Sanktionen zurück, um beispielsweise „westliche Werte“ in Gebieten wie Menschenrechten, nuklearer Rüstungskontrolle oder dem Einsatz unkonventioneller Waffen zu verteidigen. In der Praxis werden Sanktionen häufig im UN-Sicherheitsrat beschlossen und dann von der EU sowie individuellen Staaten durch entsprechende Regulierungen umgesetzt. Meistens beinhalten Wirtschaftssanktionen das Einfrieren von Vermögenswerten, Embargos für Exporte, Importe oder Kapitalströme und Reiseverbote [2] .

Wirtschaftssanktionen zielen häufig darauf ab, unerwünschtes Verhalten eines Staates zu ändern, dessen Möglichkeiten für unerwünschtes Verhalten einzuschränken oder ihn von unerwünschtem Verhalten abzuschrecken. Effektive Sanktionen sollten also einen schnellen und unüberwindbaren Druck ausüben, sodass (1) der Zielstaat entweder gezwungen ist, den gestellten Bedingungen nachzukommen oder (2) der Druck aus der Bevölkerung wächst, sodass die politische Führung gestürzt wird. Der entscheidende Unterschied zwischen Sanktionen und anderen protektionistischen Maßnahmen wie Zöllen ist also, dass sie politisch motiviert sind, eine Veränderung in einem anderen Staat zu erwirken.

EU-Sanktionen gegen Russland ab 2014

Im November 2013 entschied die ukrainische Regierung überraschend, ein geplantes Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen, was zu Massenprotesten – dem sogenannten Euromaidan – in der Ukraine führte. Die Eskalation des Konflikts mündete schließlich in der russischen Annexion der Krim im März 2014.

Gemeinsam mit anderen Nationen, reagierte die EU mit Wirtschaftssanktionen. Diese waren zunächst sehr gezielte und präzise Maßnahmen, die sich hauptsächlich gegen russische Finanzinstitute und Militärs richteten [3] . Kurze Zeit später folgten weitere Sanktionen, die die Liste der von den Sanktionen betroffenen Personen und Persönlichkeiten erweiterten. Nach dem Abschuss des Malaysian Airline Flugs MH17 über dem Donbass im Juli 2014 wurden Wirtschaftssanktionen deutlich ausgeweitet und umfassten auch Export- und Importverbote [4].

In der Folge wurden die Sanktionen bis zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 im Wesentlichen unverändert aufrechterhalten.

Infobox Gravitationsmodell

Messen von ökonomischen und politischen Konsequenzen mit dem Gravitationsmodell

Um den ökonomischen Effekt der Sanktionen zu messen, haben wir uns den Exportwert von Russland in 173 Länder von 2008 bis 2019 angeschaut. Russlands Exporte in die EU sollten sich ab dem Zeitpunkt der Sanktionen 2014 verringert haben. Das Gravitationsmodell erlaubt es unter anderem, für länderspezifische und zeitunabhängige Faktoren wie die geografische Lage sowie für  zeitspezifische weltweite Faktoren wie globale Finanzkrisen zu kontrollieren. Die Untersuchung zeigt, dass die Wirtschaftssanktionen dazu geführt haben, dass sich der Wert russischer Exporte[5] in die EU um knapp 40% reduziert hat. Wenn man betrachtet, dass die EU im Jahr 2019 Zielregion von 42% der russischen Exporte war, kann der Effekt auf die russische Wirtschaft als substanziell angesehen werden.

Ultimatives Ziel der Sanktionen war jedoch nicht, die russische Wirtschaft zu schädigen, sondern eine politische Veränderung hervorzurufen. Als Proxy für die politische Nähe zweier Länder haben wir einen Index verwendet, der die Ähnlichkeit der Abstimmungen in der UN-Generalversammlung misst [6]. Erneut haben wir ein Gravitationsmodell verwendet, um für verschiedenste wirtschaftliche, politische und kulturelle Einflüsse zu kontrollieren. Tatsächlich konnten wir feststellen, dass sich die russischen und EU-Positionen in der UN-Generalversammlung nach dem in Kraft treten der Sanktionen angenähert haben, doch war die Größe des Effekts relativ gering.

Insgesamt konnte unser Paper also mithilfe des Gravitationsmodell den ökonomischen sowie politischen Effekt der EU-Sanktionen gegen Russland in Folge der Krim-Annexion abschätzen. Unser Ergebnis liefert Evidenz, dass die Sanktionen zwischen 2014 und 2019 zwar einen substantiellen Effekt auf den russischen Außenhandel hatten, jedoch nur kaum für politische Annäherung gesorgt haben.

Unser Ansatz mit dem Gravitationsmodell ist ein erster Schritt, den Effekt von Wirtschaftssanktionen abzuschätzen. Zudem bietet es die Möglichkeit, durch weitere Modifikationen das Ergebnis weiter zu verfeinern. Denkbar sind beispielsweise Untersuchungen, ob die Exportreduktionen in alle EU-Staaten gleich stark war oder, ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Sektoren gab. Ebenso könnte man die Sanktionen noch feinkörniger betrachten und zum Beispiel die Anzahl der geänderten Zolltariflinien als Variable verwenden. Letztlich kann man mit dem Modell auch untersuchen, ob russische Exporte in Drittstaaten im gleichen Zeitraum zugenommen haben, was den Effekt der Sanktionen mildern würde.

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