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Steuermythen entkräften: Vermögensteuer

von Moritz Kapff & Julian Kolb

In Zeiten zunehmender finanzieller Ungleichheit, sich überlagernden Krisen und einem Finanzminister, der auf das Einhalten der Schuldenbremse beharrt, werden Forderungen nach Vermögensbesteuerung immer wieder laut. Durch die gezielte Belastung derjenigen, die am meisten besitzen, könnte zusätzliches Steueraufkommen generiert und der Handlungsspielraum des Staates erhöht werden. Im Diskurs um eine Vermögensteuer kommen jedoch immer wieder Gegenargumente auf: Kritiker:innen sehen in einer Vermögensteuer primär ein Bürokratiemonster oder weisen darauf hin, dass diese bereits für verfassungswidrig erklärt wurde, sowie dass Deutschland sowieso ein Hochsteuerland sei.

Mythos 1: Deutschland ist bereits ein Hochsteuerland

Vor dem Hintergrund erwarteter „Rekordsteuereinnahmen” von erstmals über 1 Billion Euro in 2024 (RND, 2023), erhalten neoliberale Talking Points zur vermeintlichen Unverhältnismäßigkeit des deutschen Steuersystems neuen Rückenwind. Um daraus resultierenden Forderungen nach umfassenden Steuersenkungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, lohnt sich ein Blick auf die tatsächliche Steuerlast in Deutschland. Insbesondere bedarf es einer Analyse, wer in welcher Höhe besteuert wird und ob dies dem Progressionsgedanken entspricht. Ein elementarer Punkt ist dabei die Unterscheidung zwischen Einkommens- und Vermögensbesteuerung.

Die im April 2023 erschienene Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Steuer- und Abgabenlast zeigt, dass Deutschland im OECD-Vergleich Vizemeister bei der Besteuerung von Einkommen ist (OECD, 2023). Das ist grundsätzlich ein Problem, denn es trifft in Deutschland laut Nicola Brandt (OECD) insbesondere niedrige und mittlere Lohneinkommen. Brandt kontextualisiert jedoch, dass „hohen Abgaben […] direkte Leistungen wie Rentenansprüche, Kranken- und Arbeitslosenversicherung“ gegenüberstehen (Die Zeit, 2023). Werden diese Leistungen berücksichtigt, liegt Deutschland tatsächlich eher im Mittelfeld der OECD-Länder, wie eine Analyse des Projektes Steuermythen gezeigt hat (Fauser & Kowall, 2019).

Das wohl größere Problem der hiesigen Steuerdebatte ist ein anderes: Sie verkennt, dass es etliche Überreiche gibt, die aufgrund der einmaligen Art und Weise ihrer Einkommens- und Vermögensmehrung relativ gesehen weniger Steuern zahlen als der Mittelstand. Tatsächlich zählt Deutschland in punkto Vermögensbesteuerung zu den Schlusslichtern unter den knapp 40 OECD-Staaten (Bach & Eichfelder, 2021) und ist somit laut des DIW-Forschers (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) Stefan Bach eher ein Niedrigsteuerland für Vermögen (Bach & Eichfelder, 2021b). Die reichsten 10 %, welche etwa zwei Drittel des deutschen Gesamtnettovermögens besitzen, werden somit am stärksten steuerlich entlastet (Schröder et. al., 2020). Grund hierfür ist, dass Überreiche ihren Verdienst kaum aus verhältnismäßig hoch besteuerter Lohnarbeit beziehen. Stattdessen erzielen sie hauptsächlich Kapitaleinkommen aus Vermögenswerten. Das hat für Überreiche unter anderem zwei Vorteile:

  • In Deutschland werden bestimmte vermögensbasierte Steuern, wie die Vermögensteuer, überhaupt nicht erhoben, andere, wie die Grundsteuer, fallen im internationalen Vergleich gering aus und weitere, wie die Erbschaftsteuer, enthalten großzügige Privilegien und Schlupflöcher für Überreiche. Im Durchschnitt werden bei Erbschaften über 20 Millionen Euro nur ca. 2 % Erbschaftsteuer gezahlt - bei Erbschaften von 250.000 bis 500.000 Euro sind es hingegen bereits 10 % (Grundig, 2022).
  • Die wesentliche Einnahmequelle Überreicher sind Kapitalerträge wie z.B. Zinsen, Dividenden oder Renditen, welche nur gering besteuert werden. Die fällige Kapitalertragsteuer liegt lediglich bei 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer maximal bei 28 %) (Handelsblatt, 2023).

Berechnungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit zufolge, zahlt eine Muster-Millionärsfamilie somit insgesamt lediglich 24 % Steuern und Abgaben auf Einkommen und Vermögen (Jirmann & Trautvetter, 2023). Das ist nur die Hälfte der fast 48 % hohen Besteuerung des Lohneinkommens durchschnittlicher Alleinstehender (Die Zeit, 2023). Dies widerspricht der Grundidee der Steuerprogression. Um diese Ungleichverteilung des deutschen Steuersystems zu korrigieren und niedrige bis mittlere Einkommen zu entlasten, wäre unter anderem die Wiedereinführung der Vermögensteuer möglich.

Mythos 2: Eine Vermögensteuer ist nicht verfassungskonform

Oft werden normative Diskussionen um eine Vermögensteuer mit dem Argument, dass diese verfassungswidrig sei, im Keim erstickt. Eine politische Debatte wird dadurch verhindert, dass Kritiker:innen argumentieren, eine Vermögensteuer würde erneut vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einkassiert werden. Wie so oft bei emotional geführten Debatten wird hier einiges durcheinandergebracht. Im Folgenden wird dies geordnet, um den Mythos, dass eine Vermögensteuer verfassungswidrig sei, zu entkräften. 
Am Anfang muss man feststellen, dass es kein generelles Verbot einer Vermögensteuer gibt. In seinem Urteil von 1995, welches als Anlass genommen wurde, die Steuer nicht weiter zu erheben, erklärte das Bundesverfassungsgericht zu Beginn, dass die Besteuerung von Vermögen per se rechtmäßig sei, deklariert dann aber die spezifische damalige Ausarbeitung für nicht verfassungskonform. Die Kritik an der Ausgestaltung der Vermögensteuer im Urteil lässt sich dabei in drei Teile differenzieren. 

Im ersten Teil forderte das BVerfG, dass bei einer solchen Steuer der „Gleichheitsgrundsatz” zugrunde liegen muss, das heißt, dass das „gesamte steuerpflichtige Vermögen einen einheitlichen Steuersatz“ (BVerfG, 1995) haben soll. Das war in der damaligen Ausarbeitung der Vermögensteuer aber nicht der Fall, da Immobilien unterschiedlich zu anderen Vermögenswerten behandelt wurden. Außerdem soll es eine “Sollertragssteuer” sein, was bedeutet, dass sie aus der zu erwartenden “Rendite der Vermögenssteuer” (Bach, 2016) bezahlbar sein muss. Beispielsweise soll bei einer Immobilie die anfallende Steuer aus der (erwartbaren) Miete bezahlt werden können. Diese Meinung ist aber mittlerweile umstritten, sodass einige Jurist:innen annehmen, dass die Steuer auch höher sein darf (Thiele, 2023). Der dritte Teil ist der sogenannte „Halbteilungsgleichsatz“. Dieser besagt, dass die gesamte Steuerbelastung maximal um 50 % liegen darf (BVerfG, 1995). Diese Interpretation war bereits zu diesem Zeitpunkt kontrovers, weswegen der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde in einem Sondervotum des Urteils starke Kritik übte. Dabei warf er dem BVerfG Kompetenzüberschreitung und eine zu starke Einschränkung des Gesetzgebers vor (BVerfG, 1998). 
Dieser Meinung schloss sich das BVerfG bereits etwas später an und distanzierte sich 2006 wieder vom Halbteilungsgrundsatz (Thiele, 2023).

Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Einführung einer Vermögensteuer also keineswegs im Widerspruch zur Verfassung steht. Im Gegenteil: Eine Vermögensteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe werden sogar explizit im Deutschen Grundgesetz als mögliche Steuerarten aufgelistet (GG Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Nr. 1). Außerdem wurde die Steuer im heutigen Gebiet der Bundesrepublik über 100 Jahre bis in die Mitte der 1990er Jahren erhoben (Wieland, 2003). Kurz gesagt wäre eine Vermögenssteuer also sowohl legal als auch normal.

Mythos 3: Die Vermögensteuer ist ein Bürokratiemonster und technisch nicht umsetzbar

Gegner:innen einer Vermögensbesteuerung argumentieren, dass der Erhebungsaufwand nicht im Verhältnis zum Steuerertrag stehen würde. Für die Bewertung von Vermögen, insbesondere Immobilien, aber auch Kunstwerken etc. sind zum Teil aufwändige Verfahren notwendig. Es gibt aber bereits Bewertungsverfahren, die in der Praxis erfolgreich angewandt werden: Beispielsweise werden Vermögen seit 2007 zur Erhebung der Erbschaftsteuer bewertet. Hier wurde also für ähnliche Bewertungsprobleme ein Verfahren gefunden, an dem man sich orientieren könnte. Ob man hohe Vermögen besteuern möchte, ist also primär eine Frage des politischen Willens und eine Vermögenssteuer scheitert nicht etwa an fehlenden Konzepten oder dem Bundesverfassungsgericht. Dass eine Vermögenssteuer also per se nicht funktioniere, ist falsch. Auf Basis einer Konzeption zur Wiedererhebung der Vermögensteuer von mehreren rot-grün regierten Bundesländern 2012 hat das DIW unter anderem Ertrag und Erhebungsaufwand analysiert. Dass eine Erhebung der Vermögensteuer mit Aufwand verbunden ist, stimmt zwar - Dass eine Erhebung der Vermögensteuer juristisch-technisch nicht möglich sei oder sich nicht lohnen würde, ist aber falsch. Die Analyse des DIW schätzt - ohne dabei Unternehmen zu berücksichtigen - ein zusätzliches Steueraufkommen auf 10 bis 20 Milliarden Euro (Bach & Thiemann, 2016). Die Erhebungskosten der Steuer beliefen sich auf 4 bis 8 Prozent in Relation zum Aufkommen und sind mit den Erhebungskosten von Einkommen- oder Unternehmensteuer vergleichbar. Die relativen Erhebungskosten sinken mit steigenden Freibeträgen, da die Anzahl der von der Steuerlast Betroffenen sinkt und gleichzeitig der Steuerertrag pro steuerpflichtigen Bürger:innen steigt. Das heißt, je stärker man eine Vermögensteuer durch hohe Freibeträge und einen progressiven Steuertarif auf Überreiche konzentriert, desto niedriger sind relative Erhebungskosten. Man muss jedoch auf die Ausgestaltung einer etwaigen Steuer achten, weil Anpassungsreaktionen der Steuerpflichtigen das Aufkommen stark verringern könnten. Je nach Schätzung und Ausgestaltung der Steuer könnte das Steueraufkommen durch Anpassungsreaktionen um 10 bis 68 % reduziert werden (Bach & Thiemann, 2016).

Eine Erhebung der Vermögensteuer sollte politisch diskutiert und ggf. in Betracht gezogen werden, um finanzieller Ungleichheit und etwaigen Finanzierungsproblemen des Staates entgegenzuwirken. Es geht im Kern darum zu zeigen, dass eine Besteuerung von Vermögenden trotz möglicher Hürden umsetzbar ist. Gründe gegen eine Vermögensteuer sind vielmehr politisch motiviert und Argumente, die darauf abzielen, dass eine Besteuerung von Vermögen nicht möglich sei, häufig normativ.

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