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Ehegattensplitting
Sexismus per Gesetz

von Kilian de Ridder & Maya Krystosek

Es ist ein warmer Sommertag, und vor den großen gusseisernen Türen eines Rathauses irgendwo in Deutschland steht ein Pärchen, beide Anfang dreißig, sie, mit einem Strauß weißer Rosen in ihrer Hand. Sie wollten nicht das übliche Hochzeits-Brimborium, eigentlich hatten sie gar nicht vor zu heiraten, aber ihnen wurde mehrfach gesagt „steuerlich lohnt sich das!“ und sie dachten sich, „was soll's? Wir lieben uns, dann können wir auch heiraten.“ So, wie diesem x-beliebigen Hetero-Pärchen geht es heutzutage vielen Paaren in Deutschland. Der Schritt zum Standesamt scheint so einfach, ein schönes Symbol der Liebe, und noch dazu spart man sich Steuern - das ist doch ein guter Deal, oder nicht? Was die meisten nicht wissen: Das Ehegattensplitting ist ein echtes Hindernis für die Gleichstellung von Männern und Frauen. Es führt nämlich de facto dazu, dass Frauen im Durchschnitt mehr Steuern zahlen müssen als Männer mit dem gleichen Einkommen. In diesem Text erklären wir, warum das Ehegattensplitting so problematisch ist, warum es Sexismus per Gesetz ist.
Aber bevor wir uns näher mit dem Aufbau und der Funktion des Ehegattensplittings beschäftigen, schauen wir uns zunächst mal an, wie es überhaupt zu dieser steuerlichen Regelung kam.

Wann und mit welchem Ziel wurde das Ehegattensplitting eingeführt?

Der entscheidende Moment für das uns heute bekannte Ehegattensplitting lag in der Anfangsphase der Bundesrepublik Deutschland. Im Nationalsozialismus galt: Ehefrauen, die in einem anderen Betrieb als ihr Ehemann beschäftigt waren, wurden individuell besteuert. Hingegen wurden Frauen, die in demselben Betrieb tätig oder selbstständig waren, mit ihrem Ehemann zusammen veranlagt [1]. Diese Regelung wurde auch in der BRD übernommen. Aufgrund der 1920 eingeführten progressiven Einkommensteuer führte das zu Nachteilen für Ehen, in denen beide Partner:innen arbeiteten, denn das zusammen veranlagte Einkommen unterlag einem höheren Steuersatz als dem von Personen, deren Einkommen individuell besteuert wurde. 1957 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die steuerliche Mehrbelastung von Ehegatten durch eine Schlechterstellung der Eheleute aufgrund der gemeinsamen Veranlagung im Rahmen der Einkommensteuer nicht tragbar sei. Daraufhin entschied sich die Bundesregierung für die Einführung des Ehegattensplittings (Rotino, 2016).

Es ging also bei der Einführung darum, Ehefrauen nicht zu „bestrafen“, die selbstständig oder im gleichen Betrieb wie ihr Ehemann arbeiteten. Aber hat sich die Lage der Ehefrauen durch die neue Steuerregel verbessert? Um das herauszufinden, schauen wir uns im Folgenden die Funktionsweise des Ehegattensplittings an.

Wie funktioniert Ehegattensplitting?

Ständig zusammenlebende Eheleute oder eingetragene Lebenspartner:innen können sich für eine gemeinsame Veranlagung ihres Einkommens entscheiden. Das bedeutet, dass das gesamte zu versteuernde Einkommen beider Partner:innen halbiert und anhand dieser Hälfte die Einkommensteuerschuld berechnet und anschließend verdoppelt wird. Durch die Halbierung des Einkommens ist dieses Verfahren unabhängig von der tatsächlichen Einkommensverteilung beider Eheleute (Bach, 2011).

Dadurch entsteht der sogenannte Splittingvorteil. Der Splittingvorteil ergibt sich aus zwei Komponenten. Zum einen erhalten die Eheleute im Rahmen des Splittings zwei Grundfreibeträge [2], selbst wenn ein Teil des Ehepaares keine steuerpflichtigen Einkünfte erhält. Die zweite Komponente des Splittingvorteils besteht darin, dass das zu versteuernde Einkommen hälftig zwischen den Partnern:innen aufgeteilt wird. Die insgesamt fällige Einkommensteuer für zwei fiktiv gleich hohe Einkommen ist niedriger, da der Einkommensteuersatz für höhere Einkommen überproportional ansteigt (Bach, 2011; Spangenberg, 2017).

Der Splittingvorteil ist umso größer, je höher das Haushaltseinkommen ist und je größer die Differenz zwischen den jeweiligen Einkommen der Eheleute ist. Der Splittingvorteil wird geringer, wenn die/der bis dahin geringer Verdienende zunehmend mehr verdient. Zum Beispiel: Verdienen zwei verheiratete Menschen gleich viel, haben sie keinen Splittingvorteil gegenüber einer Individualbesteuerung. Verdient nur eine der beiden Personen das ganze Einkommen, dann gibt es einen deutlichen Vorteil gegenüber der Individualbesteuerung. Tabelle 1 zeigt, dass bei einem Einkommen von 60.000 € statt 15.863 € bei Individualbesteuerung wegen des Ehegattensplittings nur 9.902 € gezahlt werden (Zahlen für das Jahr 2022, ohne Solidaritätszuschlag).

Einkommen 1 Einkommen 2 Steuer ohne Splitting Steuer mit Splitting Splittingvorteil
30.000 € 30.000 € 9.902 € 9.902 € 0 €
60.000 € 0 € 15.863 € 9.902 € 5.961 €

Ein zweiter Teil des Ehegattensplittings besteht in der Wahl der Steuerklassen. Im Rahmen der gemeinsamen Veranlagung von Eheleuten und Lebenspartner:innen gibt es zwei Steuerklassenoptionen: Entweder beide Personen tragen sich in die Steuerklasse 4 ein, oder eine der beiden Personen (tendenziell die geringer Verdienende) wählt die Steuerklasse 5 und damit einen höheren Steuersatz und die andere Person die Steuerklasse 3 und damit einen geringeren Steuersatz. Die Person in der Steuerklasse 3 bekommt auch die Grund- und Kinderfreibeträge angerechnet, sodass sie am Ende deutlich mehr Geld als die geringer verdienende Person auf dem Konto hat. Am Ende des Jahres zahlen Ehepaare mit dem gleichen gemeinsamen Einkommen auch die gleiche Menge Steuern, egal welche Steuerklassen sie gewählt haben. Der entscheidende Unterschied ist, wann diese Steuer fällig wird. Die Steuerklassenwahl 3 & 5 bedeutet, dass im Laufe des Jahres weniger Steuern vorausbezahlt werden müssen (im Vergleich zur Steuerklassenwahl 4 & 4). Deshalb wählen viele Ehepaare diese Aufteilung (Spangenberg, 2017).

Kritik am Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting in seiner aktuellen Konstruktion vergrößert Ungleichheiten, und zwar gleich auf drei Weisen: Besonders Paare, in denen nur eine Person erwerbstätig ist, profitieren vom Ehegattensplitting. Und innerhalb dieser Paare profitieren die Reichsten am stärksten. Vor allem aber führt das Ehegattensplitting dazu, dass es sich im Durchschnitt für Frauen weniger lohnt zu arbeiten. Diese Kritikpunkte wollen wir im folgenden Abschnitt erklären.

Das Ehegattensplitting führt dazu, dass der/die weniger verdienende Ehepartner:in einen höheren Steuersatz zahlen muss, als wenn er/sie allein besteuert würde. Beispielsweise werden im Normalfall die ersten knapp 10.000 € Einkommen pro Jahr überhaupt nicht besteuert, dies ist der Grundfreibetrag. Wenn man aber eine:n Ehepartner:in hat, der schon 45.000 € verdient, dann sind mit Ehegattensplitting die beiden Grundfreibeträge der beiden Ehepartner:innen schon ausgeschöpft. Dann zahlt der Zweitverdiener auf den ersten verdienten Euro schon 27 % Einkommensteuer. Selbst bei sehr geringen Verdiensten muss der/die weniger verdienende Partner:in also schon Steuer zahlen. Erstens wird so das ohnehin schon geringere Netto-Einkommen noch kleiner. Und zweitens lohnt es sich für die geringverdienende Person weniger, arbeiten zu gehen, da pro Stunde weniger bei ihm/ihr ankommt.

In der Realität sind es bei Hetero-Ehen immer noch sehr oft Frauen, die weniger als ihr Ehemann verdienen. Im Jahr 2022 verdienten Frauen in Deutschland durchschnittlich 18 % weniger pro Stunde als Männer. Das Ehegattensplitting diskriminiert also Frauen, denn es reduziert ihre Arbeitsanreize und erhöht die Steuern auf ihre Einkommen. In Deutschland führt das dazu, dass bis zu einem Einkommen von 500.000 € pro Jahr Frauen mehr Steuern zahlen als Männer mit dem gleichen Verdienst (Bach, 2017). Und insgesamt zahlen Frauen 42 % der Steuern in Deutschland, obwohl sie nur ein Drittel des gesamten Einkommens erhalten (Bach, 2017). Der Großteil der Studien zeigt, dass diese höhere Besteuerung dazu führt, dass Frauen weniger arbeiten, als wenn sie individuell besteuert würden (Steiner & Wrohlich, 2004).

Die oben erklärte Aufteilung in die Steuerklassen verstärkt den Effekt noch. Der/Die Hauptverdienende in Steuerklasse 3 bekommt die Grundfreibeträge beider Ehepartner:innen sowie Kinderfreibeträge angerechnet, muss darauf also keine Steuer zahlen. Die ohnehin bestehende Einkommensungleichheit zwischen den Eheleuten wird verstärkt. Das kann auch zu großen Machtgefällen innerhalb der Beziehung führen.

Übrigens steht Deutschland mit dieser problematischen Steuerregelung nicht alleine da. International ergibt sich ein eindeutiges Bild. Länder, die wie Deutschland das Ehepaar gemeinsam und nicht die Menschen individuell besteuern, weisen höhere Einkommensungleichheiten innerhalb der Ehepaare auf (Coelho et al., 2022). Außerdem ist in diesen Ländern ceteris paribus die Lücke zwischen der Partizipation der Frauen und der Männer am Arbeitsmarkt besonders groß (Coelho et al., 2022). Dies spricht dafür, dass das Ehegattensplitting die sowieso schon gravierenden Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen in Deutschland noch verstärkt.

Jedoch macht der Einfluss des Ehegattensplittings nicht beim Kontostand halt. Vom Ehegattensplitting profitieren nämlich speziell solche Ehepartner:innen, zwischen denen ein besonders großer Einkommensunterschied besteht. Den maximalen Profit aus dem Ehegattensplitting ziehen Paare, in denen nur ein Teil Erwerbstätig ist. Ein Rechenbeispiel: Verdient ein:e Partner:in 45.000 € und der/die andere Partner:in nichts, beträgt der Vorteil aus dem Ehegattensplitting 4.237 €. Wenn der/die zweite Partner:in anfängt, Geld zu verdienen, nimmt dieser Vorteil ab: Bei 10.000 € Verdienst auf 1.456 €, und verdient der/die zweite Partner:in 20.000 €, ist der Vorteil nur noch 654 €. Kurz: Wir subventionieren Paare mit einer traditionellen Rollenverteilung. Wir haben wirklich ein politisches Gesetz, mit dem wir Paare bevorzugen, in denen die Frau nichts verdient, während der Mann Karriere macht. Das ist erzkonservative Familienpolitik.

Das Sahnehäubchen ist, dass die reichsten Paare mit Alleinverdiener:in die größte Summe aus dem Ehegattensplitting bekommen. Wer Spitzen- bzw. Reichensteuer zahlt, also ohnehin schon sehr viel Geld hat, bekommt oben drauf noch den größten Splittingvorteil. Ein Alleinverdiener-Ehepaar mit 116.000 € Einkommen spart sich schon 9.128 € durch das Ehegattensplitting. Bei einem Einkommen ab 550.000 € steigt diese Ersparnis dann auf 17.366 € (Zahlen für das Jahr 2021)!

Kurz: Vom Ehegattensplitting profitieren vor allem reiche Menschen, die traditionelle – also ungleiche und Frauen benachteiligende – Familienmodelle leben. Und das einmal mehr auf Kosten von Frauen.

[1] Zusammenveranlagt heißt in diesem Zusammenhang, dass das Einkommen der Ehefrau dem des Ehemanns zugerechnet wurde und das Gesamteinkommen entsprechend besteuert wurde.

[2] Auf die ersten knapp 10.000€ des Einkommens muss keine Einkommensteuer gezahlt werden. Dies ist der “Grundfreibetrag”.

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